Faire Mobilität in Thüringen: Arbeitsrechtliche Unterstützung für EU-Bürger*innen in Thüringen

„Das Bild Deutschlands in Europa, ist besser als es die tatsächliche Situation von Arbeitnehmer*innen rechtfertigt.“ Tina Morgenroth und Klaudia Schölzel vom LAT-Projekt Faire Mobilität.

Erfurt

Was ist der Auftrag des Projekts?

Aufgabe des Projekts ist es, EU Bürger*innen, die in Thüringen leben und arbeiten eine arbeitsrechtliche Erstberatung anzubieten und sie darüber aufzuklären, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen rund um das Thema Arbeit sind. Hierfür informieren sie Beschäftigte in Betrieben selbst oder suchen Orte auf, die die jeweilige Community häufig besucht. „Zum Beispiel legen wir unsere Flyer in Lebensmittelgeschäften aus, wo man Spezialitäten der Länder kaufen kann und sprechen mit den Betreibern“, erzählt Klaudia Schölzel, Beraterin im Projekt. Aber auch die sozialen Medien haben sich als Informationsplattformen bewährt.

Für Personen, die bereits arbeitsrechtliche Probleme mit ihren Arbeitgeber*innen haben, bietet das Projekt Beratung in den Sprachen Polnisch, Rumänisch, Bulgarisch, Russisch, Deutsch und Englisch an. Die Problemlagen sind vielfältig: einbehaltener Lohn bei Kündigungen, Arbeitszeitbetrug, keine Lohnfortzahlung bei Urlaub oder im Krankheitsfall. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen. „Es gibt Arbeitgeber*innen, die die fehlenden Sprachkenntnisse und das Nicht-Wissen über Arbeitnehmer*innenrechte zu ihren Gunsten ausnutzen“, berichtet Tina Morgenroth weiter.

Das Projekt führt keine Rechtsstreitigkeiten aus, sondern informiert die Betroffenen darüber, was ihnen zusteht und welche Schritte sie gehen könnten, um zum Beispiel widerrechtlich einbehaltenen Lohn zu bekommen. Manchmal genüge auch ein Anruf vom Projekt bei dem Arbeitgeber, damit dieser die Möglichkeit hat, die Probleme selbstständig richtig zu stellen. Aber es gebe auch solche, die in vollem Bewusstsein ihrer Rechtsverstöße, die Situation einfach aussitzen. Der Ausgang hängt dann davon ab, ob für die Betroffenen Aufwand und Nutzen im richtigen Verhältnis stehen. „Ich hatte eine Person aus Polen hier, die sich gegen ein Klageverfahren entschieden hat, weil sich für sie der Aufwand wegen 500 €, um die es ging, nicht gelohnt hat“, erzählt Klaudia Schölzel, Beraterin bei Faire Mobilität. Eine andere junge Polin ist alle Instanzen durchgegangen, und ist am Ende zu ihrem Recht gekommen, erzählt Klaudia Schölzel weiter, „aber sie hatte die nötigen Ressourcen, war jung und ohne Kinder“.

Dass Menschen alle Informationen haben, um für sich die richtige Entscheidung zu treffen, ist für Klaudia Schölzel das Hauptanliegen ihrer Arbeit.

Wer kommt an?

Auch wenn die Zielgruppe mit EU-Bürger*innen sehr weit gefasst ist, gibt es regionale Häufungen. Die meisten Ratsuchenden kommen aus Polen, Bulgarien und Rumänien, manchmal auch aus der Slowakei, Tschechien, Spanien und Italien. Zum einen liegt das natürlich daran, dass in Thüringen vergleichsweise viele Menschen aus diesen Ländern arbeiten. Zum anderen spielt die Beratung in der Herkunftssprache eine maßgebliche Rolle. „Das spricht sich natürlich in der Community rum“, erzählt Tina Morgenroth. „Wenn du eine sehr gute Beratung gemacht hast, kommen am nächsten Tag fünf weitere Personen“. Im Projekt versucht man auf die verschiedenen Sprachbedarfe zu reagieren. „Wir hatten mal eine Kollegin, die Ungarisch sprach, da kamen eben viele Ratsuchende aus Ungarn. Jetzt haben wir eine Kollegin, die Russisch spricht und die zieht natürlich russischsprachige Menschen an“, berichtet Tina Morgenroth.

Die Branchen, in denen die Menschen arbeiten, sind jene, in denen prekäre Beschäftigungsverhältnisse bekannt sind: Logistik, Lager, Gebäudereinigung, Kurierdienste. Die meisten Verstöße gegen Arbeitnehmer*innenrechte finden sich in der Leiharbeit, in der diese Branchen überproportional vertreten sind.

Besonders bei der Anwerbung im Ausland beobachten die Projektmitarbeiterinnen viele Probleme. Es werde beispielsweise mit hohen Entgelten gelockt, aber verschwiegen, dass davon Wohnung, Transport und Ausstattungskosten abgezogen werden oder die Angaben der Ausschreibung frei erfunden sind.

Für das Land Thüringen spielt das Projekt eine große Rolle. „Der Niedriglohnsektor ist hier besonders groß und traditionell stark ausgeprägt, unter anderem weil die Tarifbindung hier gering ist“, so Tina Morgenroth. Klaudia Schölzel ergänzt noch, „dass die Menschen, zum Beispiel aus Polen, noch nicht so lange nach Thüringen kommen, als das beispielsweise in Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Dort gibt es andere Strukturen und größere Communitys, die sich auch gegenseitig beraten und unterstützen können.“

Wie adressiert man ein gesellschaftliches Problem?

Neben der Beratungsarbeit haben die Mitarbeiter*innen verschiedene Formate entwickelt, um auch innerhalb der deutschen Gesellschaft aufzuklären und zu sensibilisieren. Neben den Flyern für Ratsuchende gibt es branchenspezifische Publikationen für Kurierdienste, Gebäudereinigung oder direkt zu Amazon. „Zurzeit arbeiten wir an einer Publikation zum Thema ,Schwangerschaft und Elternzeit‘ im Kontext Arbeit“, erzählt Tina Morgenroth. Nach zwei Fachkonferenzen wurde im Jahr 2025 auch eine eigene Ausstellung des Projekts veröffentlicht mit Fallbeispielen aus Thüringen, die als Wanderausstellung unterwegs ist.

Darüber hinaus wurden Sensibilisierungsformate entwickelt, um direkt in den Betrieben mit der gesamten Belegschaft über potentielle Probleme ihrer Kolleg*innen oder bei Subunternehmen zu sprechen. Aber auch mit Schulungen und Workshops auf der Betriebs- und Personalrätekonferenz oder für Arbeits- und Sozialrichter*innen versucht das Projekt Multiplikator*innen zu gewinnen und auf das Thema aufmerksam zu machen. Die Reaktionen auf die Verbreitung von Arbeitsausbeutung in Thüringen lässt die meisten Teilnehmenden sehr betroffen bis ohnmächtig zurück. „Und diese Ohnmacht verstehe ich schon ein Stück. Das ist halt kein gute-Laune-Thema, sondern ein Einblick in einen Teil der Arbeitswelt, der vielen verschlossen bleibt und der einfach keine Freude macht, weil es gelinde gesagt beschissen für die Leute ist“, so Tina Morgenroth.

Auch das fehlende Bewusstsein für die Komplexität des deutschen Arbeitssystems spielt in den Veranstaltungen immer wieder eine Rolle. „Manchmal haben Menschen einfache Lösungen im Kopf, z.B. warum die Betroffenen nicht einfach zum Zoll oder zum Jobcenter gehen. Wir nehmen uns dann die Zeit, um die einzelnen Vorschläge durchzugehen: Nein, das können sie nicht machen, weil das nicht die zuständige Behörde ist. Und das können Sie nicht machen, weil sie zum Beispiel vom Arbeitgeber nicht gemeldet wurden zur Krankenversicherung. Nach der dritten Runde fällt den Leuten dann auf, dass dieses System doch wesentlich komplizierter ist, als sie sich das vorgestellt haben“, erzählt Klaudia Schölzel aus den Veranstaltungen.

Trotz der vielseitigen Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit spüren auch die Projektmitarbeiterinnen die Änderung im gesellschaftlichen Klima. Besonders die wirtschaftliche Lage und damit einhergehend die Debatte um Arbeit spitzen sich zunehmend zu.

„Die Menschen seien zu faul, arbeiten nicht genug, die sind zu oft krank. Die sind vor allem auch zu oft Kind krank. Wir müssen länger arbeiten und die arme Wirtschaft und die armen Arbeitgeber. Also im Grunde gibt es einen hohen Druck auf alle Arbeitnehmenden. Aber auf die Zielgruppe der migrantischen Beschäftigten natürlich stärker, weil da schaut man genau hin, wie mit einer Lupe, und da wird jedes vermeintliche Fehlverhalten als Beispiel für eine ganze Gruppe genommen. Das sieht man auch manchmal in Betrieben, wenn es darum geht, dass es da zwei unterschiedliche Pausenräume gibt – für Deutsche und für Migrant*innen“, so Tina Morgenroth.

Alles schlecht?

Rückblickend auf acht Jahre Projektarbeit hat sich dennoch in Thüringen viel Positives bewegt. Besonders die größer gewordene Projektlandschaft ermöglicht es Projekten wie Faire Mobilität schneller eine Verweisberatung zu finden oder über gemeinsame Probleme in den Austausch zu kommen. Das Antidiskriminierungsprojekt Empowermensch oder auch die Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel bekom stehen dafür nur exemplarisch. Auf rechtlicher Seite hat das Arbeitsschutzkontrollgesetz Verbesserung für die Durchsetzung von Arbeitnehmer*innenrechte gebracht. Das Arbeitsschutzkontrollgesetz soll für sicherere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sorgen. Branchenübergreifend gibt es mit ihm nun bundesweit einheitliche Regeln zur Kontrolle der Betriebe und zur Unterbringung von Beschäftigten.

„Ich hätte mir gewünscht, dass das Subunternehmerverbot für die Kurier- und Paketdienstbranche noch kommt, aber dass es das überhaupt in die parlamentarische und öffentliche Debatte geschafft hat, zeigt auch, dass es mittlerweile ein Problembewusstsein für diese Dinge gibt“, so Tina Morgenroth abschließend.

 

 

Tina Morgenroth und Klaudia Schölzel

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