Girmai Birhane
Nordhausen
Auf der Baustelle höre ich viel Thüringer Dialekt. Das ist besser als immer nur mit dem Buch zu lernen.
Gespräch mit Girmai Birhane
Umzug nach Nordhausen mit viel Erfahrung im Gepäck
Beruflich hat Girmai Brihane schon viel erlebt. Bevor er 2022 nach Deutschland kam, hatte er bereits 40 Jahre in Brünn in Tschechien gelebt und als Bauingenieur gearbeitet. Nach einem kurzen Arbeitsaufenthalt in Bad Sachsa, fasste Herr Birhane den Entschluss nach Nordhausen umzuziehen, da er dort einige Freunde hatte. Dort hat er dann auch vom LAT-Projekt MultiPotenzial des Horizont e.V. erfahren. „Ein Freund hat mir von Frau Freybe-Müller erzählt und dass sie mir helfen kann bei der Bewerbung und Arbeitssuche. Mit ihm bin ich dann zum Horizont e.V. gegangen und habe dort Frau Freybe-Müller das erste Mal getroffen“, berichtet Herr Birhane.
An Qualifizierungen hat Herr Birhane einiges vorzuweisen. In der Tschechischen Republik studierte er an der Technischen Universität Brünn Bauwesen und machte 1994 seinen Abschluss als Bauingenieur. „Als ich 16 Jahre alt war, habe ich nach meinem Schulabschluss in Eritrea (das war damals Äthopien) bereits eine Ausbildung im Bauwesen gemacht. Nach dem Studium habe ich dann viele Jahre bis 2022 in der Tschechischen Republik in der Baubranche an verschiedenen Projekten mitgearbeitet.“
Neue Wege führen zum Erfolg bei der Arbeitssuche
Spezialisiert ist Girmai Birhane im Bereich Hochbau. In Nordhausen geht er neue Wege und hat nach mehreren Bewerbungen eine Stelle im Familienunternehmen GBN Granitbau GmbH im Bereich Tiefbau angetreten. „Ich hatte davor in Tschechien nur im Hochbau gearbeitet z.B. war ich an Bauprojekten für Tankstellen oder dem Bau von Biomasseanlagen beteiligt. Davor habe ich in Ghana an einem Krankenhausbau mitgearbeitet. Der Bereich Tiefbau ist sehr neu für mich.“
Bevor es zur erfolgreichen Einstellung Herrn Birhanes bei GBN Granitbau kam, musste er einige Hürden meistern. Besonders die Sprache war bei der Arbeitssuche noch ein Problem. Mit viel Unterstützung durch Frau Freybe-Müller hat Herr Birhane über 20 Bewerbungen an verschiedene Unternehmen geschickt. Auch zu Vorstellungsgesprächen wurde er bald eingeladen.
„Als ich nach Nordhausen kam, waren meine Deutschkenntnisse noch nicht gut. Ich hatte nur ein A1-Niveau. Ich habe dann sehr viel zu Hause gelernt, um besser zu werden.“ Inzwischen hat Herr Birhane ein sehr gutes Sprachniveau erreicht und lernt immer mehr dazu. „Ich habe noch nie einen Sprachkurs besucht. Die Sprache habe ich allein gelernt. Und jetzt lerne ich bei GBN Granitbau auch sehr viel durch den Kontakt mit den Kollegen auf der Baustelle.“
Ein weiteres Problem ist die Anerkennung der Zeugnisse von Berufsabschluss und Studium. Alle Dokumente wurden bei der Anerkennungsstelle eingereicht, aber leider dauert die Bearbeitung sehr lange. Bis heute wartet Herr Birhane auf die Anerkennung aller Unterlagen.
Seit vier Monaten ist Herr Birhane bei GBN GranitBau angestellt und inzwischen gut im Unternehmen angekommen. Die Sprache ist noch eine Herausforderung, da man viel Fachwortschatz kennen muss. Herr Birhane ist hoch motiviert so schnell wie möglich alles Wichtige zu lernen. Dabei wird er vom gesamten Team gut unterstützt. „Nicht nur der Chef, auch alle Kolleg*innen auf der Baustelle haben mir von Beginn an viel geholfen. Alle sind mir gegenüber sehr positiv eingestellt. Und ich bin immer bereit allen zuzuhören, weil alles neu für mich ist. Auf der Baustelle höre ich viel Thüringer Dialekt. Das ist besser als immer nur mit dem Buch zu lernen. Inzwischen kann ich alles sehr gut verstehen,“ berichtet Herr Birhane.
Ab und zu braucht es Urlaub von der Kleinstadt
Herr Birhane lebt gern in Nordhausen auch wenn das Leben in der Thüringer Kleinstadt anfangs ungewohnt war. „Vorher habe ich in Brünn gelebt, das ist die zweitgrößte Stadt der Tschechischen Republik. Da gab es schon ein wenig mehr Möglichkeiten in der Freizeit etwas zu unternehmen“. Viel Zeit hat Herr Birhane neben der Arbeit nicht, aber wenn er am Wochenende frei hat, macht er gern Urlaub von der Kleinstadt und bereist andere Städte. „Ich war schon in Frankfurt, Hamburg, Bremen, Leipzig und Berlin. Durch das Reisen lerne ich viel über die deutsche Sprache und die verschiedenen Dialekte in anderen Regionen“.
Für die Zukunft hat Herr Birhane keine großen Pläne. „Als Kind wollte ich eigentlich Förster werden. Später wollte ich dann eigentlich Medizin studieren und dann bin ich am Ende Bauingenieur geworden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass immer alles anders kommt als ursprünglich geplant“. Heute ist er mit seiner Entscheidung in der Baubranche zu arbeiten sehr zufrieden. Auf die Frage, ob die Arbeit im Hochbau oder Tiefbau besser ist, hat Herr Birhane eine klare Antwort: „Eindeutig Tiefbau! Das ist weniger gefährlich und es gibt weniger Unfälle. Es kann hier natürlich auch immer was passieren, aber es ist seltener.“
Gespräch mit dem LAT-Projekt "Multipotenzial" (Horizont e.V.) in Nordhausen
Eine Fachkraft für Thüringen
Girmai Birhane ist im Februar 2023 ins Projekt MultiPotenzial gekommen. Ein Freund hatte ihn zu dem LAT-Projekt in Nordhausen begleitet. „Wir erleben das sehr oft, dass Menschen uns finden, weil ihre Freunde bereits bei uns in Beratung waren“, erzählt Josephin Freybe-Müller, die im Projekt als Beraterin arbeitet. Herr Birhane wollte gern nach Nordhausen ziehen, um hier zu arbeiten.
Da Herr Birhane EU-Bürger ist, spielten aufenthaltsrechtliche Fragen keine Rolle und so ging es dann schnell weiter mit der Arbeitssuche. Ursprünglich wollte er in Teilzeit arbeiten und nebenbei einen B2-Sprachkurs machen, hat sich dann aber doch entschieden, direkt Vollzeit zu arbeiten und Deutsch weiterhin selbstständig zu lernen. „Er hat bisher keinen Sprachkurs besucht und trotzdem haben wir nie einen Dolmetscher gebraucht, weil er sich das bereits so gut selbst beigebracht hat“, berichtet Frau Freybe-Müller.
Auch die berufliche Beratung und gemeinsame Arbeitsplatzsuche gestaltete sich im Projekt MultiPotenzial unkompliziert. „Wir haben zusammen eigentlich nur den Feinschliff gemacht: Aktualisierung des Lebenslaufs, Rechtschreibung und die Bewerbungsschreiben.“
Herr Birhane kam bereits mit 28 Jahren Berufserfahrung und einem fast perfekten Lebenslauf in die Beratung. Sein Diplom als Bauingenieur aus Tschechien ist zwar bereits übersetzt, aber noch nicht anerkannt. „Wir haben dann Kontakt mit der Anerkennungsberatung IBAT aufgenommen und einen Termin für Herr Birhane vereinbart“, so Frau Freybe-Müller. „Das funktioniert sehr gut in der Zusammenarbeit. Wir haben unsere Fälle oft parallel in der Anerkennungsberatung. Zum Glück konnte die Anerkennungsberatung in Nordthüringen über LAT weiterfinanziert werden“.
Es ging dann zügig in die Stellensuche. Die Absprachen fanden in Form von persönlichen Gesprächen, aber auch in digitaler Form statt, da Herr Birhane ja noch nicht in Nordhausen wohnte. Herr Birhane hätte sich zwar mit seinen Qualifizierungen direkt als Bauleiter bewerben können, aber es war ihm ziemlich klar, dass sein Deutsch dafür noch nicht ausreicht. Er war offen dafür, erst einmal klein im Bauwesen einzusteigen und dann wieder aufzusteigen.
Girmai Birhane überzeugte durch Erfahrung und Fleiß
„Zu seinem ersten Vorstellungsgespräch war er sehr aufgeregt. Wir haben uns vorher getroffen, um das vorzubereiten und er kam da mit einer ganzen Powerpoint-Präsentation. Er hatte so viele Bilder dabei von all den Projekten, die er bereits umgesetzt hat. Das hatte ich auch noch nicht erlebt in meiner beruflichen Laufbahn“, erzählt Frau Freybe-Müller.
Es kam dann erst einmal eine Absage nach dem Vorstellungsgespräch mit der Begründung seiner noch nicht ausreichenden Sprachkenntnisse. Aber die Firma hat die Tür nicht ganz zu gemacht Sobald sein Deutsch besser geworden ist, könne er sich noch einmal bei ihnen melden.
Parallel lief auch der Umzug in eine WG mit einem Freund in Nordhausen. Als Herr Birhane sich dann bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat, haben die ihm direkt ein paar Vermittlungsvorschläge mitgegeben. Da war dann auch sein jetziger Arbeitgeber GBN Granitbau Nordhausen GmbH dabei.
„Herr Birhane hat mir dann irgendwann erzählt, dass er ein Gespräch dort hatte und schon probegearbeitet hat. Und da hat er sie dann von sich überzeugt und bekam kurz danach seinen Arbeitsvertrag“, so Frau Freybe-Müller.
„Das wünsche ich mir von allen Arbeitgeber*innen: Diese Offenheit. Viele haben auch Angst davor, jemanden mit wenig Deutschkenntnissen einzustellen und dann vielleicht auch mit einer anderen Kultur. Aber es ist so wichtig, dass die Menschen die Chance bekommen, ihr Potential zu zeigen.“
Am Ende ging alles sehr schnell
Im Februar kam Herr Birhane ins Projekt MultiPotenzial, die Bewerbung für GBN Granitbau ging im April raus und im Juni war dann sein erster Arbeitstag. Das klingt einfach. Und doch war es eine intensive Zeit für ihn.
Am schwierigsten für Herrn Birhane ist die behördliche Kommunikation. Aber auch nach der Jobaufnahme steht Frau Freybe-Müller ihm zur Seite und hilft z.B. bei der Veränderungsmitteilung an die Agentur für Arbeit oder unterstützt bei Absprachen mit der IBAT, da auch das Anerkennungsverfahren von Herrn Birhanes Diplom noch läuft.
„Ich wünsche ihm, dass er den Job macht, der ihm Freude bereitet und dass er seine Wünsche in Deutschland erfüllen kann. Ich gönne es ihm so, dass er jetzt den ersten Schritt geschafft hat, weil er sich so reingehangen hat. Er muss auch lernen, darauf stolz zu sein. Bei den Bewerbungen habe ich ihm immer gesagt, dass er reinschreiben soll, wie toll er ist und was er alles gemacht hat. Er ist sehr demütig und da hat er dann gesagt: Josi, du lässt mich ja wie Superman aussehen.“
Vielleicht ist er das ja.
Gespräch mit der GBN Granitbau Nordhausen GmbH
Ein Bewerber mit viel Potential
Das Familienunternehmen GBN Granitbau Nordhausen GmbH befindet sich gerade im Generationenwechsel. Um die Abläufe im Büro noch weiter zu verbessern, war man in der Firma daher auf der Suche nach einer Fachkraft für die Bauleitung, die zukünftig auch bei den Abrechnungsprozessen unterstützen kann.
„Im Bewerbungsgespräch mit Herrn Birhane haben wir festgestellt, dass er ja eigentlich (…) im Hochbau Erfahrung hat. Für unseren Bereich Tiefbau fehlen da noch ein paar Kenntnisse, aber es war schon beeindruckend zu sehen, welche Projekte Herr Birhane umgesetzt hat und was er da auch rechnerisch, also als Unterstützung in der Abrechnung, bereits geleistet hatte. Und da haben wir das Potential erkannt“, sagt Andrea Ostermann, Prokura der GBN Granitbau.
„Besonders für diese Stelle, ist es wichtig, dass die deutsche Sprache sehr gut beherrscht wird. Das ist essentiell bei Arbeitsschutz, Qualitätsmanagement und der Bauleitung. Da haben wir gesagt: ok, das ist zwar jetzt ein erschwerter Start, aber es ist ein Problem, das man lösen kann. Wir lösen das, indem wir eine Zwischenetappe für Herrn Birhane kreieren. Und Herr Birhane hat sich bereiterklärt, vorerst auf der Baustelle mitzuarbeiten. Das ist recht üblich. Im Studium gibt es auch die Empfehlung, auf der Baustelle zu arbeiten, um die ganzen Abläufe richtig kennenzulernen,“ sagt Stephan Ostermann, Gesellschafter und Bauleiter der GBN Granitbau.
Die Grundlagen müssen gelernt sein
Seit 4 Monaten arbeitet Girmai Birhane jetzt auf den Baustellen, lernt die Kolleg*innen, die Arbeitsabläufe und vor allem die Fachbegriffe kennen. Von seinen Kollegen wird Herr Birhane bereits sehr geschätzt. Mit seiner Pünktlichkeit und Wissbegierde hat er sich als verlässlicher Teil des Teams etabliert.
„Die Kollegen wissen mittlerweile, was sie an ihm haben. Man erklärt Girmai etwas einmal und dann läuft das. Da haben sie mit unseren Auszubildenden manchmal mehr zu kämpfen“, so Stephan Ostermann.
Auf der Baustelle werden mitunter Vorurteile geäußert und als „nettgemeinte Späße“ verpackt. „Das ist natürlich nicht so schön. Aber ich habe immer mit Nachdruck kommuniziert, dass wir im Unternehmen klare Werte leben und dass ich es nicht toleriere, wenn abfällige oder missgünstige Äußerungen kommen. Das ist die rote Linie und das wird auch eingehalten.“
Integration ausländischer Mitarbeitender ist auch ein unternehmerischer Erfahrungsprozess
Die Firma GBN Granitbau hatte früher schon eritreische Mitarbeitende. Ein Bekannter, der über den Volleyballverein ein Integrationsprojekt betreute, fragte damals an, ob sich Unternehmen in Nordhausen nicht vorstellen könnten, einige seiner Teilnehmenden anzustellen. Granitbau hielt es für eine gute Idee, den jungen Menschen damit eine Chance zu geben. „Wir haben da viele gute Erfahrungen gemacht. Nicht nur mit den Migranten, sondern auch wie man seine Mitarbeiter bei dem Prozess vorbereitet und mitnimmt. Sie sind da auch sehr offen. Wir haben auch einen Mitarbeiter, der sich die Kollegen bei Seite nimmt und Aufgaben oder Arbeitsabläufe nochmal erklärt. Das ist viel wert und das unterstützen wir auch“, sagt Andrea Ostermann.
Auf Herrn Birhane wartet jetzt eine spannende Zeit, da er ja perspektivisch im Büro arbeiten soll. Die saisonbedingte Kurzarbeit ab Weihnachten wird er nutzen, sein Deutsch weiter zu verbessern und die Sprachprüfung für das B2-Zertifikat abzulegen. Auch in der Firma hat man schon Pläne für die kalten Monate.
„In der Zeit, wenn wir nicht auf der Baustelle sein können, bieten wir unseren Mitarbeitenden an, verschiedene Weiterbildungen zu besuchen. Herr Birhane könnte dann auch eine zweiwöchige Weiterbildung zum Thema Natursteine oder Vermessung machen“, so die Prokura.
Auch wenn Herr Birhane nicht so viele Pläne für seine Zukunft schmiedet, plant das Familienunternehmen ihn gern langfristig ein. Auch Auszubildende werden mit dem Ziel ausgebildet, diese danach zu übernehmen.
„Wir wünschen uns für Herrn Birhane, dass wir ihm hier in der Firma eine Tätigkeit bieten können, die ihn erfüllt und ihm Glück bereitet. Er soll gesund bleiben und immer gerade heraus sagen, wenn ihn etwas stört oder beschäftigt, denn nur so können wir gut miteinander arbeiten“, sagt Stephan Ostermann abschließend.